"Die Eule des Monats geht im Mai an:

Die genialsten Erfindungen der Natur- Bionik für Kinder, Sigrid Belzer
mit zahlreichen Farbfotos Illustrationen von Peter Nishitani
Fischer Taschenbücher, 3/2010, 351 Seiten
Art.Nr.: 978-3-596-85389-2

Klar, der Lotos-Effekt! Den kennen wir doch alle. Er ist nachgerade zum Synonym für Bionik geworden. Selbstreinigende Flächen, die eben nicht ganz glatt sein dürfen, superpraktische Angelegenheit. Aber sonst? So viel fällt den meisten Menschen zum Thema »Bionik« nicht ein, und deshalb ist es gut, dass es ein Buch wie dieses gibt. Denn die Bionik ist überall. Im Prinzip findet man sie schon bei Leonardo da Vincis Studien zum Vogelflug und seinem Versuch, nach dem Vorbild der Vögel Flugapparate zu entwerfen.

Im Wasser, auf der Erde, in der Luft: Überall können wir uns von Tieren und Pflanzen etwas abschauen. Das reicht von ungewöhnlichen, energiesparenden Methoden der Fortbewegung bis zu sicheren und ebenfalls energieeffizienten Bauweisen, von der Medizin bis zum Umweltschutz. Kaum ein Lebensbereich bleibt unberührt von der Bionik; eigentlich ist für jeden etwas dabei. Wen Lotosblätter zum Gähnen bringen, der hat vielleicht Interesse an fußballspielenden Robotern wie dem hundeförmigen Darmstadt Dribbling Dackel. Oder er mag den unscheinbaren Ampferblattkäfer, dessen Füße so unglaublich gut an allen möglichen Oberflächen haften.

Auch wer gern neue Wörter lernt, kommt bei der Bionik auf seine Kosten. Schließlich weiß nicht jeder, dass die Stabilisierungsfalten der Konservendose »Sicken« heißen. Und wer sich unter einem »Flossenstrahl« bisher nichts vorstellen konnte, der kann sich mit der übersichtlichen Anleitung selbst einen bauen. Aber vor allem verführt das Buch dazu, die Welt mit anderen, sozusagen mit Bionikeraugen zu sehen, innezuhalten und gründlich zu beobachten. Wie hält das Gras dem Wind stand? Wie bewegt die Heuschrecke ihre Beine? Wie sieht Haifischhaut unter dem Mikroskop aus? Die Autorin empfiehlt, ein Forschertagebuch zu führen – und auch wenn solche Projekte erfahrungsgemäß schnell wieder aufgegeben werden, lohnt es sich bei diesem Thema. Wer sich nur auf das Buch selbst verlassen möchte, bekommt aktuellste Informationen und einen Einblick in das Denken und Arbeiten von Wissenschaftsteams, die sich mit Bionik beschäftigen. Die Kombination klarer Sachtexte mit einer hervorragenden Erklärungstiefe, aussagekräftigen und ästhetischen Fotos und einfachen Versuchsanleitungen ist rundherum gelungen. Besonders erfreulich ist, dass Sigrid Belzer von einer unerfahrenen Lesergruppe ausgeht, die nicht unbedingt Physik und Chemie pauken will, bevor sie sich mit Luftwirbeln, Wärmedämmung oder Knochenstrukturen befasst. Trotzdem wirkt der Text nie platt, verfälschend oder herablassend.

Ein dicker Wälzer ist das schon! Aber keine Angst, man muss ihn nicht von vorn bis hinten am Stück lesen, um ihn zu genießen. Bionik ist ein facettenreiches Thema, und hier kommt eben keiner der zahlreichen Aspekte zu kurz. Nur eine Albernheit sollte sich der Verlag verkneifen: ein Buch auf dem Rückumschlag als »für Forscher von 10 bis 99« gedacht zu bewerben. Es gibt es immer mehr muntere Hundertjährige, die ihren Eulenblick vielleicht auch gern über das Buch schweifen lassen. Und mit Hilfe der Bionik werden es sicher noch mehr."

Heike E. Jüngst
bjl Bulletin Jugend & Literatur
Kritisches Monatsmagazin für Kinder- und Jugendmedien, Leseförderung und Lesekultur
Mai 2010




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